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Das Ende der Universität

Updated: Nov 25, 2021


Jan David Zimmermann





„Die Studierenden, die das Studium wirklich lieben, sollten sich weigern an solch unkenntlichen Universitäten zu inskribieren, und stattdessen wie in der Entstehungszeit neue universitates gründen; diese würden den einzigen Ort bieten, an dem der technologischen Barbarei getrotzt wird, um die Worte aus der Vergangenheit weiterleben und im besten Fall eine neue Kultur entstehen zu lassen.“- Giorgio Agamben[1]



Die Aus- und Eingesperrten


Mit Montag, dem 22.11.2021 kommt in Österreich der Lockdown für alle bis mindestens 12.Dezember.

Zuvor dachte man, man könne den Schaden für Menschen und Krankenhäuser und das Versagen der Politik über die Diskriminierung von Ungeimpften lösen und so wurden mit 08.11. die 2G-Regel[2] und mit 15.11. der „Lockdown für Ungeimpfte“ in ganz Österreich verordnet.[3] Diese Verordnungen galten nicht nur in der Gastronomie, sondern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, die Spaß, Freude und Ablenkung bringen.

Ein solches Betretungsverbot nach dem 2G-Schema soll für Ungeimpfte auch nach dem 12.12. gelten.

2G und der Lockdown für eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung entfalten ihre diskriminierende Wirkung aber nicht nur dadurch, dass unbescholtene, potenziell gesunde, testwillige Bürger und Steuerzahler viele der für sie nicht betretbaren Institutionen mitfinanzieren, sondern dass ihnen in Österreich das Betreten der Universität Klagenfurt und anderen Hochschulen entweder ganz verwehrt wird oder nur unter schikanösen Umständen möglich ist.[4] Dass der Rektor der Universität in Klagenfurt, Oliver Vitouch, all jenen, die sich mit den momentan verfügbaren Covid-19-Impfungen nicht impfen lassen wollen oder daran Kritik üben, eine grundsätzlich unwissenschaftliche oder gar wissenschaftsfeindliche Haltung attestiert, ist dabei nur mehr als ideologisch zu bewerten. Vitouch bezieht sich in seinen Ausführungen wieder auf die altbekannten Floskeln des neu-normalen Vernunft-Diskurses[5], die seit Beginn der Krise gebetsmühlenartig wiederholt werden, obwohl viele dieser Diskursfiguren revidiert werden müssten. Dennoch wird immer wieder dasselbe wiederholt: Die Impfung schützt auch andere, es ist ein Akt der Solidarität, es ist vernünftig und verantwortungsvoll, Kritiker der Impfung wie auch der Maßnahmen sind unsolidarisch, unwissenschaftlich, verschwörungstheoretisch, egoistisch, dumm, ungebildet, usw.[6] Vernunft heißt in diesem Verständnis, der Regierung und den Experten (weiterhin) zu gehorchen, auch wenn beide ihre „Strategien“ und Ansichten im Wochentakt ändern, undurchsichtige Verordnungen und Stufenpläne erstellen, sich Gesundheitsminister und Bundeskanzler widersprechen[7], die Impfung mal jahrelang schützt[8], bis dann klar wird, dass sie mitunter nur 4-6 Monate schützt[9], dass aus zwei Stichen plötzlich drei werden und der vierte mitunter auch schon als Idee herumschwebt. Dass Antikörpertests mal eine gute Idee sind, um zu sehen, ob man auch Antikörper gebildet habe[10], plötzlich jedoch der Gesundheitsminister empfiehlt, gar keine Antikörpertests vor der dritten Impfung durchzuführen, weil sie angeblich nichts aussagen.[11]



Vorläufige Ergebnisse vs. rigide Eindeutigkeit


Dass Wissenschaft von vorläufigen Erkenntnissen lebt, von Annahmen, die dann bestätigt oder widerlegt werden, ist natürlich selbstverständlich. Dass wir nun live einen solchen Prozess von Trial-and-Error miterleben, ist dagegen völlig neu. So weit so gut. Wenn jedoch vieles nur vorläufig gilt und morgen wieder ganz anders sein kann, ist es umso absurder, dass man mit einem Brustton der Überzeugung eine Eindeutigkeit der „Faktenlage“ suggeriert, die eben nicht vorliegt. Die Gewissheit, mit der uns politisch-medial (aber leider auch wissenschaftlich) unumstößliche „Fakten“ geliefert werden, die zu drakonischen Maßnahmen führen, die wir unbedingt einhalten müssen, nur um sich dann wenige Wochen bis Monate später der neu justierten Gewissheit stellen zu müssen, dass diese Maßnahmen und Ansichten mitunter unhaltbar, unwirksam, fehler-bis lückenhaft waren oder revidiert werden müssen, zeigt immer wieder, dass hier Wissenschaft ideologisiert und als Herrschaftsmittel missbraucht wird (wofür die im Labor arbeitenden Wissenschaftler wiederum nichts können). Dass Universitäten und Rektoren bei solchen Ideologisierungen mitmachen, ist dabei mit dem Blick in die Geschichte allerdings nichts Neues.

Dass unliebsame Positionen immer wieder aus den Universitäten oder dem „allgemeinen Konsens“ entfernt wurden, ist ebenso keine Neuigkeit, dies lässt sich seit Jahrhunderten, wenn nicht noch länger beobachten. Und was wurde nicht schon alles im Namen der Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit gerechtfertigt, wie viele unbequeme Wissenschaftler wurden nicht im Laufe der Geschichte als Häretiker bezeichnet, weil sie unpopuläre Ansichten vertraten? Die größten Wissenschaftler der Welt stellten sich gegen den Konsens, stellten den Konsens in Frage. Erst dies ermöglichte wissenschaftliche Revolutionen. Und immer waren es die institutionellen Vertreter der Macht, die gegen solche Stimmen vorzugehen versuchten. Wenn sich Rektor Vitouch auf Wissenschaftlichkeit beruft, sollte er sich im Hinblick auf die 2G-Regel an seiner Universität vielleicht auch eingestehen, dass die 2G-Regel wissenschaftlich auf schwachen Füßen steht und eben nicht dazu dient die Infektionsketten zu brechen, wie man an den Aussagen verschiedener Virologen (Streeck, Kekulé, Krüger, Schmidt-Chanasit) sehen kann[12][13][14][15], sondern dass die Regel im Wesentlichen ein politisches Mittel ist, um Menschen zur Impfung zu zwingen.

Vom demokratiepolitischen Aspekt einmal abgesehen, den der Psychologe offenbar völlig ausblendet.

Am Ende all dieser wissenschaftlichen Diskussionen spricht nicht einmal Christian Drosten von einer „Pandemie der Ungeimpften“, sondern will diese Floskel verbannt wissen.[16]


Fest steht auch, dass die angeblich absolut klaren Verhältnisse rund um die Impfstoffe immer wieder eine Neu-Justierung erfuhren: Der Vektor-Impfstoff Astra Zeneca wird etwa in Österreich mittlerweile gar nicht mehr verimpft[17], eine Impfung mit Johnson & Johnson ist im Grünen Pass ab dem 03.01.2022 nicht mehr gültig[18] und die Verimpfung von Moderna wurde aufgrund erhöhter Myocarditisfällen bei jungen Männern in einigen europäischen Ländern ebenfalls ausgesetzt[19]. Noch vor drei Monaten meinte der oben genannte Christian Drosten, dass die dritte Impfung nicht notwendig sei[20], nun, im November müssen sich alle panisch für den dritten Stich anmelden[21].


Dass nun Menschen, ob geimpft, ungeimpft, genesen sich anhand dieser stets neu konfigurierenden ach so unumstößlichen Fakten bisweilen nur noch wie Versuchskaninchen vorkommen und manche Menschen dabei eben nicht (mehr) mitmachen wollen, hat nichts mit Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun, sondern mit einem kommunikativen, politisch-medialen Totalversagen vonseiten der Verantwortlichen.


2G revisited: Geimpft und genervt


Einen anekdotischen ( hier nun nicht mit Quellen belegbaren) Hinweis möchte ich an dieser letzten Stelle Medien und Politik geben: Bei vielen geimpften Personen stellt sich sowohl beim Impfthema als auch bei den chaotischen Verordnungen, Regeln und bei der Spaltung der Gesellschaft nur noch Kopfschütteln, Skepsis und Misstrauen ein, auch wenn versucht wird, weiter einen Keil zwischen die geimpften und die ungeimpften Menschen zu treiben.


Und gerade dass für den Pflegebereich und die vielen dort arbeitenden, wichtigen Menschen so gut wie nichts getan wurde, obwohl wir seit zwei Jahren eine Pandemie haben, macht viele Menschen (egal welchen Impfstatus sie haben) fassungslos. Warum wurde nicht aufgestockt, umgeschult, besser bezahlt, Geld ins System gepumpt? Stattdessen wurde abgebaut, die Pflege mit der Impfpflicht drangsaliert und das Krankenhaussystem bis zur Belastungsgrenze ausgehöhlt, die dort Arbeitenden schließlich völlig verheizt, sodass viele von ihnen in andere Berufe abwandern werden.


All das ist jedoch nicht monokausal den bösen Ungeimpften umzuhängen, sondern hat hauptsächlich mit dem gravierenden Versagen der Politik zu tun, welches man nur mehr als quasitotalitäres Dauergewurschtel bezeichnen kann. Statt aber aufgrund der unklaren (Daten-)Lage auf Freiwilligkeit zu setzen und den Druck aus der Gesellschaft herauszunehmen, den Menschen allgemein wieder Mut zu machen und sie positiv zu bestärken, werden die „Zügel noch straffer gezogen“, wie Bundeskanzler Schallenberg mit Blick auf die Ungeimpften sagte.[22] Angesichts einer derart entmenschlichenden Rhetorik stellt sich schon die Frage, ob man bei Schallenberg nicht auf den falschen Kutscher als Kanzler gesetzt hat. Und ob die Republik überhaupt einen Kanzler braucht, der seine „Untertanen“ für Pferde hält.


Das Ende der Universität (wie man sie früher kannte) ist jedenfalls mit dem Verbot für Ungeimpfte – auch deutsche Universitäten machen dies mittlerweile[23] - eingeläutet; ein bildungspolitischer Zerfallsprozess, der sich seit Bologna abgezeichnet hat, ein zynischer, neoliberaler Umbau des akademischen Raumes, der nun erneut ins Ausgrenzende verfällt und sich einer mittlerweile mehr als untragbar gewordenen Politik andient.

In einer Universitätslandschaft, die sich mit allerlei Anti-Diskriminierungsreferaten angeblich gegen die Ausgrenzung von Minderheiten stellt, ist eine solche Entwicklung umso beschämender.




[1] Giorgo Agamben: An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik. Turia und Kant 2020, S.117. [2] 2G= geimpft, genesen. Vgl. https://www.vienna.at/2g-regel-tritt-in-kraft-alle-fragen-und-antworten/7185058 , abgerufen am 21.11.2021. [3] Vgl. https://orf.at/stories/3236481/ , abgerufen am 21.11.2021. [4] Wenn man etwa geimpft oder genesen ist, bekommt man an der WU Wien einen „Fast Lane Sticker“, mit dem man schneller Gebäude betreten kann als ungeimpfte Personen. Vgl. https://www.wu.ac.at/studierende/distanzlehre-und-online-pruefungen/coronavirus-news-und-infos-fuer-studierende#c599368 , abgerufen am 18.11.2021. [5] So sagt Vitouch: „Gleichzeitig habe ich aus wissenschaftlicher Sicht noch kein gutes Argument gehört, warum die Impfung so schlimm sein soll, dass man sie ablehnt. Diese unangenehmen Wahrheiten muss man manchmal deutlich aussprechen. Vernunft und Verantwortungsbewusstsein wird man von angehenden Akademikern in erhöhtem Ausmaße erwarten dürfen. Die Forderung nach einem Grundrecht auf Unvernunft teile ich nicht. Als Nächstes diskutieren wir dann darüber, ob eine Winterreifenpflicht zumutbar ist oder nicht, wenn sich jemand mit Sommerreifen wohler fühlt.“- Vgl. https://www.derstandard.at/story/2000130991537/rektor-zu-2g-regel-an-uni-klagenfurt-ich-kann-nicht , abgerufen am 18.11.2021. [6] Die Demonstration gegen 2G und die Impfflicht am 20.11.2021 mit 35000 Teilnehmern zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild: Quer durch die Bevölkerung geht der Unmut, auch wenn Kellernazis wie Gottfried Küssel immer wieder herangezogen werden, um den Protest zu delegitimieren. Bezeichnenderweise findet man bei ORF, Standard und Co. vergeblich eine halbwegs neutrale Berichterstattung, diese findet man dafür etwa bei Thug Life Austria, die einfach demonstrierende Menschen zu Wort kommen lassen, ohne unnötiges Framing: https://www.youtube.com/watch?v=ZdJFKz5q_24 , abgerufen am 21.11.2021. [7] Vgl. https://orf.at/stories/3236296/ , abgerufen am 18.11.2021. [8] Vgl. https://www.mdr.de/wissen/dauer-immunitaet-schutz-nach-corona-impfung-und-infektion-auffrischung-100.html , abgerufen am 18.11.2021. [9] Vgl. https://www.zentrum-der-gesundheit.de/news/gesundheit/covid-19/corona-impfung-schutz , abgerufen am 18.11.2021. [10] Auch hier gibt es völlig gegensätzliche Meinungen, vgl. https://www.geo.de/wissen/gesundheit/antikoerpertest-vor-der-booster-impfung-sinnvoll--30920032.html , abgerufen am 18.11.2021. [11] So Mückstein in einem öffentlichen Statement am 02.11.2021 (ab der 3. Minute): https://www.youtube.com/watch?v=6L9ylOCNROM&t=201s , abgerufen am 18.11.2021. Auch Karl Zwiauer vom Nationalen Impfgremium (NIG) meint: „Es gibt nach wie vor keinen sicheren Wert, der einem aussagt, ich habe tatsächlich so hohe schützende Antikörper oder ich habe so wenige, dass ich die Impfung brauche. Wir kennen Personen, die sehr hohe Antikörper-Werte hatten und die dennoch die Infektion wieder bekommen haben, andererseits gibt es Personen, die sehr niedrige Antikörpertiter haben und die nicht infiziert werden.“ - Vgl. https://noe.orf.at/stories/3128325/ , abgerufen am 18.11.2021. [12] Der Top-Virologe Hendrik Streeck hält die 2G-Regel sogar für gefährlich: https://www.berliner-zeitung.de/news/virologe-streeck-2g-regel-in-deutschland-waere-gefaehrlich-li.193314 , abgerufen am 18.11.2021. [13] Der Ex-Charité-Chef Detlev Krüger sagt im Bild-Interview: „Wir erreichen durch die Impfung keine sterile Immunität. Es ist, wie Hendrik Streeck es formuliert hat: Die Impfung ist vor allem Eigenschutz, nicht Fremdschutz. Insofern bezweifle ich, dass die 2G-Regelung eine Verbesserung zu 3G darstellt. Im Endeffekt bedeutet 2G nur mehr Unfreiheit, ohne mehr Sicherheit zu bieten. Deshalb hat auch das Testen weiterhin Bedeutung.“- https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/ex-charit-chefvirologe-krueger-2g-ist-nicht-sicherer-aber-unfreier-78186550.bild.html , abgerufen am 18.11.2021. [14] Auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit spricht sich gegen die 2G-Regel aus, die eine Scheinsicherheit vermittle und ist für 1G: nämlich alle Personen testen, egal ob geimpft, genesen oder ungeimpft. Vgl. https://www.rnd.de/gesundheit/corona-schmidt-chanasit-warnt-2g-regel-und-deren-wirkung-nicht-ueberschaetzen-AELCJXNKNONFEBKWZH455KSCMQ.html , abgerufen am 18.11.2021. [15] Der Virologe Alexander Kekulé spricht ebenso davon, dass die 2G-Regel Unsinn ist, vgl. https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/focus-online-kolumne-von-alexander-kekule-2g-regel-ist-unsinn-weil-sie-auf-vollkommen-falscher-rki-behauptung-beruht_id_20910598.html , abgerufen am 18.11.2021. [16] Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/drosten-keine-pandemie-der-ungeimpften-100.html , abgerufen am 18.11.2021. [17] Vgl. https://kurier.at/chronik/oesterreich/oesterreich-laesst-impfungen-mit-astra-zeneca-auslaufen/401384604 abgerufen am 18.11.2021. [18] Vgl. https://gruenerpass.gv.at/geimpft/ , abgerufen am 18.11.2021. [19] So haben Schweden und Dänemark Moderna bereits seit Oktober für Jüngere ausgesetzt, vgl. https://orf.at/stories/3231631/ , abgerufen am 18.11.2021. [20] Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/corona-schutzimpfung-drosten-101.html , abgerufen am 18.11.2021. [21] Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/corona-auffrischungsimpfungen-wer-sollte-eine-booster-dosis-100.html , abgerufen am 18.11.2021. [22] Vgl. https://kurier.at/politik/inland/corona-gipfel-kommt-jetzt-bundesweit-2-g/401796025 , abgerufen am 18.11.2021. [23] Vgl. https://www.br.de/nachrichten/bayern/2g-im-hoersaal-uni-erlangen-zieht-die-corona-notbremse,SojNkjM , abgerufen am 21.11.2021.

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