Von Jan David Zimmermann
„Wo etwas Zumutung ist, nennt man es heute Lüge. Und um sich dabei moralisch vermeintlich ins Recht zu setzen, nennen sich Nazis Juden und schreien Freiheit und meinen ausschließlich ihre eigene. Sie kapern die guten Worte, das Böse schmackhaft zu machen: Heimat, Heil, jetzt auch Frieden und gerne auch Menschenrechte … Erinnern Sie sich noch, wie sich Jörg Haider selig bei Waffen-SS-Veteranen für ihren Anstand bedankte? […]
Man posiert um die Wette, statt den Unerhörten, um die man sich angeblich sorgt, eine Stimme zu geben, und verkauft das als Rücksicht oder Größe im Denken. Ich nenne es Opportunismus, unterlassene Hilfe. Oder die feige Unart, sich aus dem Fenster zu lehnen, wenn unten die eigenen Leute mit einem Sprungtuch warten. Wer nicht durch Werke auffällt, sondern vor allem dadurch, sich aufzupudeln, aber aus der Affäre zu stehlen, wo es unbequem wird, Teilnahmen abzusagen, auch wo niemand daran dachte, ihn überhaupt einzuladen, ist ein Maulheld und Heuchler.“-Die Schriftstellerin Anna Baar in ihrer Rede zum Bachmannpreis 2022[1]
Liebe Anna Baar,
ich spreche Sie direkt an, weil Sie mich in Ihrer Rede für den Bachmannpreis nicht direkt ansprachen, obwohl Sie auf meinen offenen Brief an die Organisator*innen des Bachmannpreises (17.02.2022) Bezug nahmen. Warum eigentlich nicht? Wollen Sie mir keine Bühne geben? Doch für Beleidigungen ad personam reicht es offenbar. Aber alles der Reihe nach.
Ihre Rede handelt von – wie kann es in Österreich und bei österreichischer Literatur seit Jahrzehnten anders sein – Nazis und Kinderschändern, arbeitet sich – wie kann es beim Thema Kärnten anders sein – zu den argen Zuständen auf dem Land, zu Jörg Haider und zu SSlern vor, zu fragwürdigen Straßennamen. Und schließlich kommen Sie auf angebliche Nazis zu sprechen, die sich als Juden ausgeben würden und „Freiheit“ schreien, womit Sie wohl – es sei denn ich missverstehe Ihre enigmatischen Worte völlig – die demonstrierenden Menschen meinen, die gegen Impfpflicht, Propaganda und rigide Corona-Maßnahmen in den letzten Jahren auf die Straße gingen. Hunderttausende Menschen mit unterschiedlichen sozialen, ethnischen, bildungstechnischen Hintergründen, die Sie lapidar mit nationalsozialistischen Päderasten wie Franz Wurst, SS-Soldaten oder Rechtspopulisten wie Jörg Haider in einem Atemzug nennen oder mäandernd verknüpfen.
Das Spiel Ihrer aus vagen Andeutungen bestehenden textlichen Assoziationsketten verdunkelt dabei dort, wo Eindeutigkeit angebracht wäre und vereindeutigt, wo differenzierte Betrachtung vonnöten ist: Meinen Namen und meinen Hintergrund nennen (und kennen?) Sie nicht, viele Dinge werden nur angerissen, aber die Menschen, die nach Freiheit in diesem Land und auf den Straßen rufen sind für Sie unmissverständlich Nazis.
Sie sagen an späterer Stelle in Ihrem Text (über die Literatur? oder über Social Media?): „Man posiert um die Wette, statt den Unerhörten, um die man sich angeblich sorgt, eine Stimme zu geben, und verkauft das als Rücksicht oder Größe im Denken.“
Wenn Sie dabei die Tugendprahlerei und den immerselben Mainstream-Konsens meinen, die die Menschen dazu brachten, ihre Social Media-Accounts mit Ukraine-Flaggen zu versehen, unreflektiert nach Waffenlieferungen zu schreien, ständig zeigen zu müssen, dass man auf der „richtigen“ Seite steht, dann bin ich mit Ihnen sogar d‘accord. Die Pose, das Zeigen, wie gut man ist, ist ein Manko der Gegenwart.
Dennoch sage ich Ihnen: Sie selbst geben mit Ihrer Attitüde ganz sicher keinen Unerhörten eine Stimme. Sie schreiben über ein Schweigen und schweigen über ein anderes Schweigen, nämlich über die Ausgrenzung von einem Drittel der Bevölkerung im letzten Winter. Ist diese Gleichzeitigkeit nicht eigentlich die Definition von Heuchelei, die Sie mir augenscheinlich attestieren? Ist es nicht diese Heuchelei, die auch den Bachmannpreis gegenwärtig prägt?
Die unerhörten Menschen aus Österreich (aber auch aus der Schweiz, aus Luxemburg und aus Deutschland) ließen mir im Februar viele hunderte Nachrichten zukommen, bedankten sich für meinen offenen Brief, der aus meiner Empörung über die angebahnte 2G-Regelung beim Bachmannpreis, nicht aufgrund einer nicht stattgefundenen Einladung geschehen ist; denn damals, im Februar konnte man ja Texte noch einreichen (mit entsprechender Empfehlung), was ich zuerst noch machen wollte. Ich entschied mich, dies nicht zu tun und erhoffte (ich gebe zu: naiv) mir durch meinen offenen Brief einen Nachdenkprozess bei den entsprechenden Stellen zu bewirken. Ein Sprungtuch „meiner Leute“ hatte ich damals nicht. Ich war darauffolgend selbst über die Popularität meines Briefes überrascht. Aber über 34000 Klicks sprechen dafür, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe; nicht, weil ich so großartig bin, sondern weil ich etwas Wahres und Drängendes angesprochen hatte. Ich kann Ihnen versichern: Hundertausende, wenn nicht gar Millionen von Menschen empfanden ebenso wie ich. „Die Presse“ berichtete, viele Internetportale ebenfalls, auf Social Media wurde mein offener Brief oder Auszüge davon hunderttausende Male geteilt. Die Menschen bedankten sich bei mir, weil ich ihnen eine Stimme gab, nicht weil meine Stimme so viel zählt. Denn es ist am Ende auch egal, ob man bereits ein (großes) Werk oder „nur“ eine Novelle, einen Abschluss von einer Kunstuniversität, journalistische Texte und ein paar Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften vorzuweisen hat. Es geht um das Angesprochene selbst, nicht um Meriten, die man sich in selbstgefälligem Elitismus institutionenhörig umhängt und wie eine Monstranz vor sich herträgt.
Ein paar Anmerkungen noch in eigener Sache, weil wir uns ja persönlich gar nicht kennen: Ich beschäftigte mich akademisch viele Jahre mit Wissenschaft im Nationalsozialismus, befasste mich intensiv mit dem Kärntner Dialektologen Eberhard Kranzmayer, der ein SS-Institut in Klagenfurt leitete und nach welchem ja bis heute eine Straße dort benannt ist. Die Problematik glimpflicher Ent-Nazifizierung nach 1945 und die Abgründe sogenannter „Kärntner Wissenschaft“ ist mir also mehr als bewusst. Und die Geschichte des Franz Wurst klingt in einigen Aspekten wie die Geschichte von Heinrich Gross, der für die Gräueltaten am Spiegelgrund verantwortlich war.
Meine Großmutter Hilde Zimmermann (geborene Wundsam) war als Widerstandskämpferin im KZ Ravensbrück interniert, die gesamte Familie wurde in Konzentrationslager deportiert.[2]
Mein jüdischer Großvater Harry Zimmermann war gemeinsam mit Jean Améry im belgischen Widerstand und dann in den letzten Kriegsmonaten Partisane in Jugoslawien.
Nicht aufgrund von Unkenntnis bzgl. des Nationalsozialismus, nicht aufgrund von Sympathie mit völkischen Bewegungen, sondern gerade aufgrund meines Wissens über diese Zeit und aufgrund meiner Familiengeschichte verwahre ich mich gegen bösartige Verharmlosungen von tatsächlichem Nationalsozialismus bzw. Neonazismus, indem Menschen aller Art und quer durch die Bevölkerung als Nazis bezeichnet werden, nur weil sich diese Menschen nicht von einer ebenso inkompetenten wie autoritären Regierung drangsalieren lassen. Und selbst wenn ich diese Familiengeschichte nicht hätte, so würde ich mich dafür einsetzen, dass jeder Mensch, egal ob er nun rechts, links oder sonst wie politisch verortet ist, frei unsere gesellschaftlichen Fehlentwicklungen kritisieren darf, wenn die Argumente stimmen. Wir können uns als Gesellschaft nicht aufgrund ideologischer Verbohrtheit für die Lüge entscheiden.
Eine Politisierung der Gesundheit und der Wissenschaft unter Zuhilfenahme ständig sich ändernder Verhaltensregeln hat nichts mit Solidarität oder Wissenschaftlichkeit, sondern nur mit staatlichem Autoritarismus und erwartetem Konformismus zu tun. Regeln sind in einer Gesellschaft normal, aber die ständige verhaltensökonomische Neu-Ordnung der Bevölkerung durch ein absurd-verwirrendes Regelkorsett war und ist es nicht.
Den Widerstand gegen einen solch autoritären Diskurs und gegen eine solche Politik als nationalsozialistisch zu bezeichnen ist für mich willfährige, antiquierte Anti-Heimat-Literatur im Bannkreis der immerselben Nazi-Thematik. Das ist im Eigentlichen eine Literatur in den Diensten der gegenwärtig Herrschenden, das Ersticken jeglicher Diskussionskultur und letztlich eine Zuarbeit zum Schweigen, nachdem man (die „falschen“) Kritiker mundtot gemacht hat. Der inflationäre Gebrauch des Wortes „Nazi“ für jeden mit einer anderen Meinung ist mindestens so gefährlich wie die tatsächlichen Neonazis oder Rechtsextremen.
Das haben Sie mir einmal mehr deutlich gezeigt.
Mit maulheldischen Grüßen,
Jan David Zimmermann
[1] https://www.derstandard.at/story/2000136747554/bachmannpreis-rede-von-anna-baar-die-wahrheit-ist-eine-zumutung , abgerufen am 24.06.2022 [2] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hilde_Zimmermann , abgerufen am 24.06.2022.
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